59th International Art Exhibition
Deutscher Pavillon 2022
Für den deutschen Beitrag auf der 59. Internationalen Kunstausstellung – La Biennale di Venezia hat Kurator Yilmaz Dziewior die Künstlerin Maria Eichhorn eingeladen.
Maria Eichhorn setzt sich in ihrem Projekt Relocating a Structure. Deutscher Pavillon 2022, 59. Internationale Kunstausstellung – La Biennale di Venezia mit der wechselvollen Geschichte des Deutschen Pavillons seit den Anfängen der Biennale und mit der widerständigen Rolle der Kunst bei der Situierung gesellschaftlicher Verhältnisse auseinander.
Das Projekt besteht aus mehreren Bestandteilen, die im Zusammenspiel den künstlerischen Beitrag für Venedig bilden. Die Künstlerin entwickelte zunächst die Idee, den Deutschen Pavillon für die Laufzeit der Biennale zu translozieren und originalgetreu an gleicher Stelle wieder aufzustellen. Die temporäre Versetzung des Gebäudes impliziert die Abwesenheit des Deutschen Pavillons, den leeren Platz, die Erweiterung des unbebauten Raums der ursprünglich als öffentlicher Park angelegten Giardini sowie des visuellen und räumlichen Umfelds der angrenzenden Pavillons und schafft auf diese Weise Raum für Bewegung, Reflexion und Auseinandersetzung mit den Bedingungen, welchen die Kunst im Kontext der Biennale mit ihren nationalen Pavillons ausgesetzt ist.
„Der Deutsche Pavillon stellt für Künstler*innen eine Herausforderung dar, auf mehreren und ganz unterschiedlichen Ebenen. Bei jedem Dekonstruktionsversuch wird man darauf zurückgeworfen. Ich betrachte den Deutschen Pavillon nicht isoliert, sondern im Ensemble und Wechselspiel mit anderen Pavillons und Länderbeteiligungen in Bezug auf staatlich-territoriale und geopolitische, globale ökonomische und ökologische Entwicklungen.“
– Maria Eichhorn
Die Überlegungen zur Trans- und Relozierung des Deutschen Pavillons gingen einher mit einer Analyse der spezifischen Gebäudestruktur des Pavillons, der im Grunde aus zwei Gebäuden besteht: dem 1909 errichteten Bayerischen Pavillon und dem Nazi-Erweiterungsbau von 1938 in heutiger Gestalt. Wo befindet sich der ursprüngliche Baukörper, wo setzt der Um- und Anbau an?
Maria Eichhorn ließ Gebäudefundamente ausgraben und Putzschichten von Wänden abtragen, um die Nahtstellen zwischen den verschiedenen Gebäudeteilen freizulegen. Um eine unmittelbar nachvollziehbare Vorstellung von den fundamentalen Um- und Erweiterungsbauten zu erlangen, wurden ferner die Umrisse und Fugen von Fensteröffnungen und Wanddurchgängen von 1909 freigelegt. So konnte das verborgene ursprüngliche Gebäude sichtbar und erfahrbar gemacht werden.
Die freigelegten Stellen werden durch erläuternde Wandbeschriftungen in englischer, deutscher und italienischer Sprache ergänzt. Die Wandtexte wurden mittels Schriftschablonen in feinen Bleistiftumrissen auf die Wand gezeichnet und in weißer Farbe mit dem Pinsel direkt auf die Wand gemalt.
Nicht nur die Übergangslinien zwischen der ursprünglichen Architektur und dem An- und Umbau werden erkennbar, sondern auch die unterschiedlichen Raumvolumina. Während der Bayerische Pavillon in seinen Proportionen das menschliche Maß berücksichtigte, wirken die 1938 vorgenommenen Erweiterungen der Seitenräume und des Hauptraums sowie vor allem die Fassade einschüchternd und lassen den Menschen klein erscheinen.
Weitere Bestandteile des künstlerischen Beitrags für den Deutschen Pavillon sind eine umfangreiche Publikation sowie Stadtführungen zu Orten des Widerstands und der Erinnerung in Venedig, die zweimal wöchentlich während der Laufzeit der Biennale stattfinden. Die Publikation versammelt Essays und Studien zur Biennale von Venedig und zum Deutschen Pavillon sowie zu weiterführenden kunsthistorischen, philosophischen, stadtsoziologischen und politischen Fragestellungen. Als Sonderdruck erscheint eine Broschüre anlässlich der Führungen zu Orten, die an den antifaschistischen Widerstand sowie an die Deportation und Ermordung der jüdischen Bevölkerung unter der deutschen Besatzung von 1943 bis 1945 erinnern. Die Künstlerin kooperiert dabei mit dem Istituto veneziano per la storia della Resistenza e della società contemporanea (Iveser).
„Der Titel des künstlerischen Projekts von Maria Eichhorn – Relocating a Structure – kann im übertragenen Sinn gedeutet werden. Denn das ,Verrücken von Strukturen’ in neue Zusammenhänge stellt nicht nur einen Bezug zur Architektur und zur Geschichte des Pavillons her, sondern verweist auch auf grundlegende Fragen menschlicher Existenz und ethischer Verantwortung.”
– Yilmaz Dziewior
YD: Erinnerst du dich noch, was dir durch den Kopf ging, als ich dich fragte, ob du dir vorstellen könntest, auf der nächsten Kunstbiennale in Venedig im Deutschen Pavillon auszustellen? Aus meiner Sicht schienst du sehr entspannt, wolltest jedoch gleich wissen, ob du alleine oder mit anderen ausstellen würdest.
ME: Meine erste Reaktion war ungläubiges Staunen und gleichzeitig große Freude über deine Einladung. Ich erinnere mich, dass wir lange gesprochen haben über Geschichte und Gegenwart der Biennale und ihre gesellschaftliche Bedeutung sowie über einzelne Biennale-Beiträge. Dabei wurde mir wieder bewusst, wie ernsthaft und verantwortungsvoll sich Künstler*innen vor mir mit dieser Aufgabe auseinandergesetzt haben. Ich bin jedenfalls froh, dass wir beide uns schon lange kennen, mehrmals zusammengearbeitet haben, ein vertrauensvolles Team bilden.
YD: In der Vergangenheit habe ich mich häufig beim Besuch des Deutschen Pavillons gefragt, welche Position ich wohl hier ausgestellt hätte. In diesem Sinne habe ich mich schon oft – wenn auch zugegebenermaßen nie tiefergreifend – mit der Vorstellung beschäftigt, einmal als Kurator für den Deutschen Pavillon in Venedig verantwortlich zu sein. Ging es dir ähnlich? Also hast du auch schon früher mit dem Gedanken gespielt, einmal diese Aufgabe als Künstlerin zu übernehmen?
ME: Nein, ich habe erst begonnen, mich damit zu beschäftigen, nachdem du mich eingeladen hast.
YD: Ich finde es geradezu überraschend, dass Du noch nicht im Deutschen Pavillon ausgestellt hast. Denn du beschäftigst dich immer wieder mit verschiedenen Themen zur deutschen Geschichte. Ich denke hier vor allem an Restitutionspolitik / Politics of Restitution (2003) und In den Zelten … (2015) und natürlich an dein im Zusammenhang der documenta 14 gegründetes Rose Valland Institut (2017). Bei all diesen Projekten geht es im weitesten Sinne um ungeklärte Eigentums- und Besitzverhältnisse von 1933 bis heute, also um die Folgen des Nationalsozialismus, die bis in die Gegenwart nachwirken. Als ein Symbol dieser Zeit kann auch die Architektur des Deutschen Pavillons in Venedig gedeutet werden. Wie stehst du hierzu?
ME: Mit der Architektur des Deutschen Pavillons beziehungsweise mit deutscher Geschichte haben sich einige Künstler*innen auseinandergesetzt. Es wurden auch mehrmals Anläufe unternommen und Vorschläge unterbreitet, den Pavillon neu zu gestalten. Das Gebäude hat nach dem monumentalen Umbau in der Nazizeit verschiedene Veränderungen erfahren – innen und außen. Documenta-Gründer Arnold Bode zum Beispiel hatte 1957 die Idee, den Pavillon umzugestalten, um ihm einen demokratischen Look zu geben. Er wollte die Fassade erneuern, den Eingang verlegen und im Innenraum eine zweite Ebene einbauen lassen, was später temporär in Ausstellungsbeiträgen aufgegriffen wurde. Die Frage, wie mit den architektonischen Überbleibseln aus der Nazi-Zeit oder mit Nazi-Architektur umgegangen werden soll, ist von bleibender Aktualität. In Bezug auf den Deutschen Pavillon in Venedig teile ich die Auffassung von Hans Haacke und anderen, dass der Pavillon historisch betrachtet als Mahnmal erhalten bleiben sollte. Geschichte, die sich auch durch Architektur vermittelt, kann nicht einfach abgebaut und weggelogen werden, wie beim Palast der Republik in Berlin geschehen, an dessen Stelle eine Schloss-Attrappe errichtet wurde.
YD: Welche bisherigen Beiträge im Deutschen Pavillon haben dir besonders gut gefallen und warum?
ME: Beiträge von Künstler*innen, die sich mit dem Ort auseinandergesetzt haben, sind mir besonders in Erinnerung geblieben, etwa von Sigmar Polke, dessen Bilder auf die Luftfeuchtigkeit der Lagune reagierten und der außen an der Fassade des Pavillons direkt neben dem Schriftzug „Bundesrepublik Deutschland“ ein Bild mit dem Titel Polizeischwein ausstellte. Dann Hans Haacke, der auf die Geschichte des Pavillons Bezug nahm und den Boden aufbrach. Die Nominierung von Hans Haacke und Nam June Paik, durch die der damalige Kommissar Klaus Bußmann die Nationenzugehörigkeit in Frage stellte, war vorausschauend. Katharina Fritsch mochte ich für die Klarheit ihres Beitrags. Isa Genzken, die die Fassade hinter einem Baugerüst verbarg. Liam Gillick und seine sprechende Katze. Hito Steyerls Deutsche Bank-Attacke. Und schließlich Natascha Sadr Haghighian, die sich performativ miteinbezog, indem sie sich tarnte, und die Ankerzentren thematisierte.
YD: Nicht selten nimmst du in deinen Arbeiten konkreten Bezug auf den Ausstellungsort, für den sie entstehen. Welche Bedeutung hat es vor diesem Hintergrund für dich, im Deutschen Pavillon auszustellen?
ME: Der Deutsche Pavillon ist symbolisch aufgeladen und stellt für Künstler*innen eine Herausforderung dar, auf mehreren und ganz unterschiedlichen Ebenen. Bei jedem Dekonstruktionsversuch wird man darauf zurückgeworfen, hat aber auch Spaß dabei. Ohne davon abzurücken, betrachte ich den Deutschen Pavillon nicht isoliert, sondern im Ensemble und Wechselspiel mit anderen Pavillons und Länderbeteiligungen in Bezug auf staatlich-territoriale und geopolitische, globale ökonomische und ökologische Entwicklungen. Warum wurde die Biennale 1895 gegründet? Wann wurden die jeweiligen Länderpavillons gebaut? Welche Länder waren bislang nicht vertreten, und aus welchen Gründen? Ist die Biennale tatsächlich immer noch ein Spiegelbild der Politik zwischen Nationalstaaten, wie vielfach angenommen, oder wird ihre Repräsentationsfunktion nicht längst in einer transnationalen, Kapital-erweiterten Arena des Kunstmarkts ausgehandelt?Dann die Eigentumsfrage: Wem gehören die Pavillons? Dass Venedig das Modell der Nationen-Pavillons weiterverfolgt, ist untrennbar damit verbunden, dass die Giardini-Pavillons wie Botschaftsgebäude Eigentum der jeweiligen Länder sind – mit Ausnahme des US-amerikanischen Pavillons, der sich im Besitz der Guggenheim Foundation befindet. Und Länderbeteiligungen ohne Giardini-Pavillon kopieren diese dominante Struktur fast ausnahmslos. Wie würde Kunst unabhängiger von solchen Konstruktionen nationaler Identität produziert und rezipiert werden? Den einzelnen Staat kann man mit Hannah Arendt als abstrakte Struktur bestehend aus vielen Nationalitäten verstehen, was den Begriff der Nation auflösen helfen könnte.
YD: Länderbeiträge auf der Biennale in Venedig sind immer auch mit Zuschreibungen und Erwartungen in Bezug auf nationale Repräsentation und kulturelle Zugehörigkeit verbunden. Wie gehst du mit eventuell an dich herangetragenen Erwartungen um?
ME: Ich glaube nicht, dass in der Kunst diese Art von Repräsentation gemeint ist, wie sie in der Politik oder in der Religion vorkommt, wo Figuren teils mit autoritärem Führungs- und Vertretungsanspruch auftreten. Die meisten Künstler*innen, die einen Biennale-Pavillon, auch den Deutschen Pavillon, gestalten, fassen es ganz einfach als Aufgabe oder Auftrag auf, entweder ihrer gewohnten Arbeit nachzugehen und diese zu zeigen, oder Missstände offenzulegen, Politik zu hinterfragen, Formen solidarischen Austauschs zwischen gesellschaftlichen Gruppen zu initiieren, Stellung zu beziehen etc. Künstler*innen sind aus meiner Sicht nicht die Stellvertreter*innen eines Landes, sondern repräsentieren eine bestimmte Haltung, eine bestimmte Denk- und Handlungsweise in Bezug zur gegebenen Situation. Zur Frage der Zugehörigkeit: Ich verstehe mich als Mix aus vielen Identitäten und Nichtidentitäten und unterscheide mich von mir selbst. Nicht meine Person, sondern meine Arbeit soll im Fokus der Aufmerksamkeit stehen. Ich mache meine Arbeit und trete dann zurück.
YD: Biennalen sind ein besonderes Ausstellungsformat, mit dem du zum Beispiel durch deine Teilnahme in Istanbul (1995 und 2005), Yokohama (2001), Berlin (2004 und 2008), Łódź (2004), Sevilla (2006) und Guangzhou (2008) bereits viel Erfahrung sammeln konntest. An der Biennale in Venedig hast du sogar schon drei Mal teilgenommen – nämlich 1993, 2001 und 2015. Glaubst du, dass dir diese Erfahrungen in Venedig 2022 helfen werden?
ME: Ja, bestimmt. Aber auch Gespräche mit Kolleg*innen und Künstlerfreund*innen, die in der Vergangenheit den Deutschen Pavillon oder andere Pavillons bespielt haben, sind aufschlussreich und hilfreich.
YD: Immer häufiger geraten Großausstellungen wie Biennalen in die Kritik, gerade auch in Anbetracht der ökologischen Implikationen der damit verbundenen exzessiven Reisetätigkeit. Sowohl Kunstinsider als auch der Kunsttourismus tragen nicht unbedingt zur Verbesserung des ökologischen Fußabdrucks bei. Wie siehst du das Verhältnis von Ökologie und Großausstellungen?
ME: Ironischerweise wurde die Venedig-Biennale 1895 als Reaktion auf den ökonomischen Niedergang Venedigs gegründet, um die Wirtschaft und die Tourismusindustrie anzukurbeln. Das ist übrigens bis heute häufig der Modus Operandi bei Biennale-Neugründungen. Heute, 126 Jahre später haben wir die Konsequenzen einer exzessiven Tourismusindustrie zu tragen. Die Venedig-Biennale, die Kulturindustrie generell ist Teil des ökologischen Desasters. Kreuzfahrt- und Massentourismus sind – neben der sozialen Verdrängung und der Bodenspekulation – ein Riesenproblem in Venedig. Der Comitato No Grandi Navi protestiert schon seit langem gegen die Kreuzfahrtschiffe und Luxusliner, und die Klimaaktivist*innen vom Venice Climate Camp fordern in Kampagnen die Touristen auf, Venedig fernzubleiben.
YD: Glaubst du, dass die nach wie vor anhaltende Pandemie einen Einfluss auf deine Arbeit hat? Wird sich dies auch in Venedig 2022 widerspiegeln?
ME: Niemand weiß, was 2022 sein wird. Aber allein dadurch, dass Covid-19 seit über einem Jahr grassiert und extreme Auswirkungen auf fast alle Lebensbereiche hat, übt die Pandemie einen nachhaltigen Einfluss aus, auch dann, wenn sie nicht unmittelbar oder direkt thematisiert wird.
YD: Wie würdest du – ohne vielleicht jetzt schon zu viel zu verraten – mit drei Sätzen deinen Beitrag in Venedig 2022 charakterisieren?
ME: Ich versuche es in zwei Sätzen: Die Arbeit ist zugänglich. Sie kann sowohl gedanklich als auch vor Ort körperlich und in Bewegung erfahren werden.